Jan-Geert Wolff: "Barockes Feuerwerk"
Freitag, 20. September 2024
WALLERTHEIM (20. September 2024). Als sich das Festival „Furioso!Barock“
2019 unter dem Namen Internationale Musiktage Wörrstädter Land gründete,
war es das erklärte Ziel, Alte Musik in kleine Dorfkirchen Rheinhessens
zu bringen. Dem ist man treu geblieben und lud nun zu einem Abend mit
italienischer und deutscher Musik des Früh- und Hochbarock in die 1880
erbaute evangelische Kirche in Wallertheim ein. Mit Bassbariton Klaus
Mertens als Gast wird es wohl das am prominentesten besetzte Konzert in
der Geschichte dieses Gotteshauses gewesen sein.
Der Sänger trat gemeinsam mit Mitgliedern des Neumeyer Consorts auf:
Barbara Mauch-Heinke (Violine), Luc Marchal (Blockflöte und Oboe),
Markus Stein (Orgel und Cembalo) sowie der künstlerische Leiter des
Festivals Felix Koch (Violoncello). Wenn derart geballte barocke
Kenntnis und Liebe zur Musik dieser Epoche aufeinandertrifft, ist Klasse
garantiert. In Werken unter anderem von Dario Castello, Samuel Scheidt
und Giovanni Battista Fontana zeigten die Musiker, wie sich die
Instrumente, ursprünglich reine Diener der Stimme, im Frühbarock immer
mehr emanzipierten.
Das Konzert trug den Titel „con fuoco“, zu Deutsch „mit Feuer“. Und
tatsächlich zündeten die Künstler klingende Pyrotechnik: mal warm, mal
heiß, flackernd oder glutvoll, Funken sprühend und lodernd, knisternd
oder leuchtend. Was wohl die Meister zu ihrer derart begeisternd
interpretierten Musik gesagt hätten? Ihrerzeit war sie für viele ob
ihrer kühnen Harmonien irritierend – in Wallertheim durfte man hingegen
erleben, wie jung und lebendig über 400 Jahre alte Musik klingen und
inspirierend gerade Barock sein kann. Die Dialoge von Oboe, Geige und
Cello waren ein hinreißendes Wetteifern, sekundiert von einem in der
Kirchenakustik leicht abgedunkelten Cembalo.
Gleiches galt auch für die Vokalwerke von Agosto Stefani, Giovanni
Battista Bononcini, Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann.
Gerade bei den Vertretern des deutschen Hochbarock ist Klaus Mertens
zuhause. Die Musik des Thomaskantors und seines in Magdeburg geborenen
Freundes ist sozusagen sein Hoheitsgebiet, in dem man nur zu gerne Gast
ist. Der berühmte Bassbariton, der als weltweit einziger Sänger mit Ton
Koopman – beide waren im vergangenen Jahr zusammen Gast bei
„Furioso!Barock“ in Sauheim – alle Kantaten von Bach und Dieterich
Buxthude für CD aufgenommen hat, ist einer der Interpreten
barocker Vokalmusik schlechthin.
Sein unvergleichliches Organ zeichnet sich durch nobles Understatement
aus: Mertens braucht keine große Geste, keine vordergründigen
Verzierungen, kein stimmliches Muskelspiel oder übertriebene Mimik,
sondern besticht durch einfache und daher umso elegantere Linienführung,
die einzig durch kluge Dynamik und vor allem eine geschmackvolle Diktion
begeistert. So überzeugt der Sänger seit Jahrzehnten sein Publikum und
schlägt es mühelos in seinen Bann: Wie er in Bachs Kantate den
Segenswunsch „Der Friede sei mit Dir“ intonierte, rührte zutiefst.
Fast ist es ein wenig unheimlich, was der Dichter Matthäus Arnold
Wilckens (1703-1759) für den „Harmonischen Gottesdienst“, eine
Kantatensammlung Telemanns, in der aufgeführten Pfingstkantate
geschrieben hat, ist es doch eine haargenaue Beschreibung von Donald
Trump und seiner Geistesgenossen im Osten, weswegen der Arientext hier
im Wortlaut wiedergegeben sei: „Zischet und stechet, ihr feurigen
Zungen, / blecke mit erhitzter Wut, / scorpionengleiche Brut! / Eure
Lippen, freche Rotten, / die der Unschuld lästernd spotten, / melden
selbst, zu Eurem Hohne, / was Euch für ein Geist bewohne; / welche Glut
Euch in Mund und Herze gedrungen.“ Mertens singt solche Verse
eindringlich, aber ohne Übertreibung. Sein Umgang mit der Sprache ist
äußerst kultiviert und verleiht der Musik einmal mehr Flügel.
Es wäre sicherlich übertrieben, wenn man von diesem Künstler sagte, er
vergolde Bach und Telemann, denn ihre Musik sind ja ohnehin schon
reinstes Edelmetall. Aber Mertens poliert dieses Gold und bringt es wie
kaum ein anderer seines Fachs zum Glänzen und Leuchten. In seiner Hand
klingt Telemanns Kantate wie eine Oper en miniature, wird man direkt ins
besungene Pfingstgeschehen hineingezogen. Und wenn ein Sänger dann noch
derart grandiose Instrumentalisten an seiner Seite weiß, kann er ein
barockes Feuerwerk der Extraklasse zünden. Oder wie man im Programmheft
lesen konnte: Mehr „con fuoco“ geht nicht.
Von Jan-Geert Wolff
Ursprünglich veröffentlicht auf schreibwolff.de
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